Montag, August 22, 2005

Bekehrungsversuch

Als Antwort auf eine Frage eines minderbegabten Fragestellers auf kandidatenwatch.de schreibt Ahmet Iyidirli:
Sehr geehrter Herr Seelert,

Es ist gut, dass Sie mir geschrieben haben, denn das gibt mir die Gelegenheit, einige Ihrer Annahmen, die auf falschen oder fehlenden Informationen beruhen, zu korrigieren.

Zunächst zu meinem Namen: Sie haben Recht mit der Annahme, dass dies kein deutscher Name ist - es ist ein türkischer. Falsch ist aber Ihre Schlussfolgerung, dass ich kein Deutscher sei. Ich bin zwar in der Türkei geboren, habe aber während der mehr als dreißig Jahre, die ich mittlerweile in Deutschland lebe, die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Wäre dies nicht so, könnte ich nicht als Kandidat für ein Bundestagsmandat antreten. Deutscher Staatsbürger zu sein ist dafür nämlich Voraussetzung. Insofern erledigt sich wohl auch ihre Frage, ob ich in meinen politischen Aktivitäten und Entscheidungen meine "Landsleute" gegenüber "Einheimischen" bevorzugen würde - abgesehen davon kann ich mit solchen Kategorien wenig anfangen.

Zu Ihrer zweiten Frage: Politik betrifft doch wohl immer die gesamte Bevölkerung eines Landes, also dessen Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Teile der Bevölkerung, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Sähe ich mich nicht dazu in der Lage, dementsprechend Politik zu machen, würde ich nicht zur Wahl antreten. Und ich wäre von meiner Partei auch kaum nominiert worden, wenn ich das nicht in den 25 Jahren, die ich mittlerweile in der SPD aktiv bin, zur Zufriedenheit einer Mehrheit ihrer Mitglieder getan hätte.

Zum nächsten Punkt: Ich stimme Ihnen zu in Ihrer Vermutung, dass die Mehrheit der deutschen Bürgerinnen und Bürger sich vermutlich nicht von Ausländern regieren lassen möchte. Das wäre ja auch ein Zustand, den man beinahe als Kolonialismus bezeichnen müsste. Es könnte allerdings auch nur durch eine Eroberung oder etwas ähnlich Unwahrscheinliches dazu kommen: denn durch demokratische Wahlen können Ausländer in Deutschland nicht an die Regierung kommen. Das liegt daran, dass, wie ich oben bereits erwähnte, man deutscher Staatsbürger sein muss, um sich wählen zu lassen. Und man muss übrigens auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, um überhaupt selber mitwählen zu dürfen. Denn Ausländer dürfen in Deutschland nicht an politischen Wahlen teilnehmen - weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Uns selbst bei Kommunalwahlen dürfen nur Ausländer aus anderen EU-Mitgliedsstaaten mitwählen.

Zum nächsten Punkt:

Nein, ich glaube nicht, dass es besser wäre, mehr Geld in "Ausländerrückführung" statt in die Bekämpfung von Rechtsradikalismus oder in die Förderung von Integration zu investieren. Unsere Gesetze schließen es glücklicherweise aus, Menschen, die hier Aufenthaltsrechte besitzen, weil sie bereits sehr lange hier leben oder gar hier geboren sind, irgendwohin "zurückzuführen". Und wir wissen, dass viele der Zuwanderer Deutschland längst als ihre Heimat betrachten, auch wenn sie aus vielerlei verschiedenen Gründen nicht deutsche Staatsbürger geworden sind. Diese persönliche Entscheidungsfreiheit muss ein demokratischer Staat ihnen meiner Ansicht nach auch offen halten. Dass sie damit von bestimmten bürgerlichen Rechten ausgeschlossen sind, ist der Nachteil, den sie dafür in Kauf nehmen müssen.

Ich bin außerdem sehr froh darüber, dass vor allem die Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und Grünen in den vergangenen Jahren so viel für die Integration und für die Bekämpfung von Rechtsradikalismus getan hat.

Denn, und damit komme ich zu Ihrer nächsten Frage, es gibt ja tatsächlich in diesem Land Menschen, politische Gruppierungen und sogar Parteien, die ganz pauschal "den Ausländern" die Verantwortung für bzw. die Schuld an bestimmten wirtschaftlichen und daraus resultierenden sozialen Probleme unserer Gesellschaft zuweisen wollen. Dies ist ein ganz alter und schäbiger Trick, in ökonomisch schwierigen Zeiten Scheinlösungen anzubieten, indem man auf solche Weise bestimmte Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufhetzt - und das kann in letzter Konsequenz dann tatsächlich zu einer Gefährdung des inneren Friedens führen. Wir haben das bei den äußerst brutalen ausländerfeindlichen Übergriffen in den neunziger Jahren bereits erlebt.

Gerade deshalb halte ich es für wichtig und für einen Grundsatz sozialdemokratischer Politik, den Menschen in unserem Lande klar zu machen, dass sie an einem Strang ziehen müssen. Als Arbeitnehmer oder als Arbeitslose, als Einwohner wirtschaftlich unterentwickelter Gebiete oder auch als Eltern von Kindern, die Ausbildungsplätze brauchen, haben sie ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Muttersprache gemeinsame Interessen, die sie auch gemeinsam vertreten müssen und sollten - nur dann sind sie stark und durchsetzungsfähig.

Das führt mich zu Ihrem letzten Punkt: dem Zusammenleben von Christen und Muslimen. Für mich persönlich ist Glauben Privatsache. Ich stamme aus einem Land, in dem Religion und Staat noch viel stärker voneinander getrennt sind, als dies in Deutschland der Fall ist. Es ist aber auch meine Lebenserfahrung, dass es in jeder Religion Menschen gibt, die Angehörigen anderer Glaubensrichtungen mit Verachtung oder gar mit Feindseligkeit begegnen. Glücklicherweise sind diese Menschen nahezu überall - und in Deutschland auf jeden Fall - in der Minderheit. Wie die Mehrzahl der Christen üben auch die meisten Muslime in unserem Land ihren Glauben friedlich und im Privaten aus. Es ist deshalb ganz und gar nicht zu dulden, wenn hier Menschen allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgegrenzt oder gar angegriffen werden.

Dass als Folge der vielen schrecklichen Anschläge islamistischer Terroristen nun auch in Deutschland stärker als zuvor solchen extremistischen Tendenzen nachgespürt und ihre Vertreter verfolgt werden, halte ich für richtig und notwendig. Bereits in den achtziger Jahren habe ich im Rahmen meiner politischen Arbeit immer wieder auf das Entstehen von solchen Gruppen auch in Deutschland aufmerksam gemacht. Dass diese Entwicklung damals von der deutschen Politik nicht ernst genug genommen wurden, liegt aber teilweise genau daran, dass man sie als "Ausländerangelegenheiten" betrachtete, die mit der deutschen Gesellschaft nicht wirklich etwas zu tun haben. Dies war falsch, und gerade aufgrund dieser Erfahrung halte ich es für richtig, die Einwanderinnen und Einwanderer endlich als Teil dieser Gesellschaft anzuerkennen. Denn dann kann man sie in gesellschaftliche Debatten und Entwicklungen verantwortlich mit einbeziehen - und auf diese Weise passiert Integration.

Ich hoffe sehr, dass ich Ihnen mit der Beantwortung Ihrer Fragen weiterhelfen konnte.

Mit freundlichen Grüßen,

Ahmet Iyidirli
Hut ab vor soviel Geduld mit dem Wähler!

Keine Kommentare: