Freitag, Januar 20, 2006

Der Geist der modernen Juristenausbildung

Nachdem Dr. Faust bei einem Rundflug durch die Zukunft die heutigen Universitäten kennengelernt hatte, wunderte er sich sehr, am meisten jedoch über die juristischen Fakultäten. Denn diese hatte er aus seiner eigenen Studienzeit ganz anders in Erinnerung. „Wie seltsam“, sprach er zu Mephisto, „da dreht sich alles nur noch um die Prüfung, die noch dazu ständig verschärft wird. Dennoch hört man überall Klagen, daß die geprüften Kandidaten zu nichts brauchbar seien und eigentlich noch einmal eine ganz andere Lehre nötig hätten. Warum prüft man nicht einfach, wer zur Juristerei das Zeug hat, und schickt die Andersbegabten woanders hin? Du kennst die Leute doch am besten, da sie letztlich deinesgleichen sind: Sag an, was geht hier vor?“

„O Herr“, erwiderte Mephisto, „der Geist der modernen Juristenausbildung ist leicht zu fassen. Eigentlich muß man nur wissen, daß für die allein begehrten Stellen höchstens ein Zehntel aller Kandidaten gebraucht wird; die andern teilen sich den Mist. Und über diese Auswahl soll ohne Gnade und Pardon das sogenannte Staatsexamen entscheiden. Das erklärt alles.“ „Wieso?“, sagte Faust, „das verstehe ich nicht. Drücke dich deutlicher aus, du Geist der Unterwelt.“
Braun, JZ 2000, 889 (hier online)

Siehe auch Brauns andere Aufsätze zur Juristenausbildung

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